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Interview mit dem Schachbotschafter Prof. Christian Hesse

Dresden, 07/11/2008

Christian Hesse ist Mathematikprofessor an der Universität Stuttgart. Er hat an der Harvard University studiert und promoviert und war bis 1991 Fakultätsmitglied an der University of California in Berkeley. Danach setzte er seine wissenschaftliche Tätigkeit als Gastprofessor und Gastdozent an verschiedenen Universitäten in der ganzen Welt fort. 2006 veröffentlichte er das Buch „Expeditionen in die Schachwelt“, eine Sammlung von etwa 100 Essays. Der Wiener Standard bezeichnete es als „eines der geistreichsten und lesenswertesten Bücher, die je über das Schachspiel verfasst wurden.“
2008 wurde er zum Botschafter der Schacholympiade in Dresden ernannt.



 

 

Annegret Spranger erfuhr in einem telefonischen Interview Näheres über Hesses Verbindung zum Spiel der Könige:

Herr Hesse, sind Sie ein passionierter Schachspieler im Verein oder widmen Sie sich dem Strategiespiel eher bei einem Treffen mit Freunden?

Aus zeitlichen Gründen bin ich kein Mitglied in einem Verein und habe auch schon seit vielen Jahren keine Turnierpartie mehr gespielt. Ich spiele allerdings mit zwei Freunden, einem Kollegen in Washington und einem Jugendfreund, der jetzt in Spanien lebt, Fernpartien, ganz ohne Zeitbegrenzung und ohne Computereinsatz. Je nachdem wie stark wir beruflich eingespannt sind, vergehen manchmal ein paar Wochen, bis wieder ein Zug geschieht, manchmal geht es schneller. Entsprechend lang dauern die Partien.

Teilt Ihre Familie Ihre Schachbegeisterung?

Ja, meiner 7-jährigen Tochter habe ich inzwischen das Schachspielen beigebracht. Abends vor dem Schlafengehen lösen wir manchmal kleine Schachaufgaben zusammen. Mein Sohn ist mit erst drei Jahren noch etwas zu jung für das Spiel. Doch ich werde auch ihm bald zumindest die Zugweisen der Figuren zeigen, denn Schach ist ein wunderbares pädagogisches Mittel, das vielfältige und für das Leben generell nützliche Eigenschaften fördert.

Sind Sie selbst auch schon seit ihrer Kindheit begeisterter Schachspieler?

Schach habe ich mit etwa sieben oder acht Jahren von meinem Vater gelernt. Besonders fasziniert hat mich dann etwas später der Titanenkampf zwischen Fischer und Spassky 1972 in Reykjavik. Daraus nährt sich noch immer meine Begeisterung für Schach.

Wie kam es zu dem von Ihnen verfassten Buch „Expeditionen in die Schachwelt“?

Ich bin vielleicht ein moderner Neanderthaler, eine Art Jäger und Sammler: Wenn ich auf irgendetwas Interessantes stoße oder einen interessanten Gedanken hatte, mache ich mir manchmal ein paar Stichworte oder Notizen und stecke den Zettel dann in meinen Zettelkasten. Über die Jahre und einige Jahrzehnte ist so eine Menge zusammen gekommen, auch schachliche Gedankensplitter natürlich. In stillen Momenten macht es mir Spaß, in dem Zettelkasten ein bisschen herumzuwühlen und zu sehen, was sich so angesammelt hat. Vor einigen Jahren habe ich mich dann entschlossen, einige der Schach-Highlights aus dieser Fundgrube in Buchform zu bringen. So entstanden über eine Zeit von 5 Jahren die "Expeditionen“.

Würden Sie sagen, dass das Buch nur etwas für Schachspieler oder Schachfans ist?

Es ist ein Schachlesebuch für Schachspieler und Schachfans, aber auch für Nichtschachspieler, wenn sie über ein rudimentäres Schachwissen verfügen. Das Buch soll Lust machen, sich mit dem Spiel zu beschäftigen, auch mit den Aspekten, die mit dem reinen Wettkampfspiel nichts zu tun haben. Es enthält kurze Essays zu verschiedensten Themen, wie Schach und Psychologie, geträumte Schachpartien, Schach und Logik, krasse Außenseitersiege, Geometrie des Schachbretts, der meistüberschätzte Zug, taktische Remisangebote und vielem mehr.

Wir haben Ihr Buch studiert. Insbesondere Kapitel wie das der gleichen Parität machen Appetit auf Mathematik. Haben Sie umgekehrt auch Mathematikern Lust auf Schach machen können?

Von einigen Mathematik-Kollegen weiß ich, dass sie mein Buch gekauft haben und, wie sie mir gesagt haben, auch mit Freude gelesen haben.

Wo liegen ihrer Meinung nach die Parallelen zwischen Schach und Mathematik?

Beides sind sehr zerebral ausgerichtete Aktivitäten, bei denen es um logisches Denken geht. Also ziemlich kopfgesteuerte Beschäftigungen, die aber dennoch starke Emotionen erzeugen und den Schönheitssinn ansprechen.

Sie haben einen Essay mit dem Titel: „Schönheit in Schach und Mathematik“ geschrieben, der in dem Sammelband „Schach“ von Ugo Dossi erschienen ist. Worin liegt ihrer Meinung nach die Schönheit von Schach und von Mathematik?

Es  gibt viele Ähnlichkeiten zwischen Schach und Mathematik. In beiden Bereichen geht es um Muster. Beim Schach um Figurenmuster auf dem Brett, ihre Analyse und Einschätzung. Die Mathematik andererseits hat man einmal als Wissenschaft von den Mustern bezeichnet. Im Teilgebiet der Geometrie etwa geht es um Muster von Figuren in Raum oder Ebene, das Teilgebiet der Wahrscheinlichkeitstheorie beschäftigt sich mit Mustern des Zufallsgeschehens. Die Schönheit der Mathematik liegt in der Ausstrahlung der Ideen, ihrer Präzision, kristallinen Klarheit und Eleganz. Darin, wie viele einzelne kleine Gedankensplitter passgenau ineinander gefügt die Lösung eines Problems ergeben. Beim Schach kann der Schönheitssinn auf ganz verschiedene Weise angesprochen werden. Durch fulminante Opfer, durch paradoxe Manöver, durch tiefliegende Rettungen aus hoffnungsloser Lage. Besonders ästhetisch wirken auch wunderbar flüssige, filigrane Figurenbewegung wie etwa bei der Kombination des Erstickten Matts als Paradebeispiel.

Welche Bedeutung hat das Schachspielen und die Beschäftigung mit dem Strategiespiel für ihre Arbeit als Mathematikprofessor?

Ich glaube, schon sehr frühzeitig hat mir Schach dabei geholfen, logisch und in Strukturen  zu denken, Alternativen abzuwägen, die planerische Phantasie anzuregen und die kreative Intuition zu schulen. Alles Eigenschaften, die man auch als Mathematiker ganz gut brauchen kann.

Sie haben Schach einmal als das „ultimative unsichtbare Spiel“ bezeichnet. Was ist damit gemeint?

Schach ist ein Spiel, bei dem sich sehr viel im Verborgenen abspielt. Zum einen die Emotionen der Spieler, nach außen wirken sie völlig kontrolliert und cool, doch in ihrem Inneren brodelt es. Anand hat genau das kürzlich in einem Interview bestätigt. Und es gibt detaillierte psychologische Studien darüber, dass die Spieler bei einer wichtigen, heiß umkämpften Partie, die auf des Messers Schneide steht, ebensoviel Adrenalin ausstoßen wie Extrembergsteiger, Tiefseetaucher und Paraglider, und sie durchleben ein ganzes Spektrum intensiver Emotionen. Kaum etwas davon dringt aber an die Oberfläche und wird sichtbar. Bei anderen Sportarten ist es anders. Zum Beispiel beim Fußball, wenn ein wichtiges Tor in einem wichtigen Spiel fällt, springen die Spieler fast aus den Trikots und erdrücken den Torschützen nahezu. Auch ist der größte Teil des Spielgeschehens beim Schach unsichtbar. Sichtbar ist als Spitze des Eisbergs nur die Position der Figuren auf dem Brett. Verborgen bleibt und erschlossen werden muss das komplizierte Geflecht ihrer verwobenen Kraftlinien, die tief in den Variantenbaum hineinreichen und Kombinationen ermöglichen oder vereiteln. Beim Fußball ist das, was erkennbar auf dem Rasen stattfindet, gleichzeitig das Spiel. Es gibt keine verdeckte Metadimension des Spielerischen in der Tiefe.

Ein kleiner Blick zurück in die Schachgeschichte: Wessen Spiel gefällt Ihnen am besten? Mögen Sie selbst eher offene oder geschlossene Abspiele?

Das Spiel des früheren Weltmeisters Mikhail Tal hat mir sehr gut gefallen, auch seine ganze Einstellung zum Schach. Er hat immer sehr publikumswirksam und opferfreudig gespielt. Auf die Frage eines Reporters, woran er beim Spiel denke, sagte er einmal: „Zuerst, wie ich meine Dame opfern kann. Dann wie ich meinen Turm opfern kann, dann Läufer oder Springer.“ Er hat vielen Schachspielern mit seinen wagemutigen, intuitiven Opfern viel Freude bereitet. Ich selbst bin im Spiel viel weniger risikofreudig, bevorzuge aber auch eher offene Abspiele.

Werden Sie die Turniere der Schacholympiade vor Ort verfolgen?

Ich werde ganz sicher zur Schacholympiade kommen, da ich bei zwei Ereignissen im Rahmenprogramm beteiligt bin. Mit der Schauspielerin und Musikerin Vaile mache ich am 16.11. im Dresdner Rathaus eine Veranstaltung mit dem Titel „Beauty & Brain“. Kurz gesagt spielt es sich etwa so ab: Vaile und ich trinken eine Flasche Wein, spielen eine Partie Schach und unterhalten uns dabei über Schach, Schauspielerei, Musik, Mathematik, Kultur uns selbst und andere... .Anschließend präsentiere ich etwas vom Besten aus dem Kontext Schach und Wissenschaft. Abschließend singt Vaile etwas vom Besten aus ihrem Leben als Musikerin. Am 21.11. halte ich dann im Rahmenprogramm noch den etwa einstündigen Vortrag „Schach und Mathematik“. Vor und nach diesen Events werde ich mir natürlich auch die Wettkämpfe ansehen.

Inzwischen haben bekannte Leute wie Artur Brauner, Felix Magath, die Gebrüder Klitschko, Günter Wallraff und andere ihre Unterstützung als Botschafter der Schacholympiade zugesagt. Sie alle verbindet das Schachspiel. Ist dem Slogan „Wir spielen eine Sprache“ noch was hinzu zu fügen?

Der Slogan „Wir spielen eine Sprache“ ist wirklich gut gewählt. Schach ist, wie übrigens auch die Mathematik, wirklich eine Weltsprache. Als Teil des Weltkulturerbes hat sie weltumspannenden Einzug in alle Kulturen gehalten und ganz egal, wo man ist auf der Welt, findet man Schachspieler. Das gleiche Erlebnis habe ich bei der Mathematik. Auch in dieser Sprache kann ich mich mit Kollegen aus allen Winkeln der Erde über fachliche Ideen austauschen. Das verbindet.

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